„Ach, ich mache mir übrigens demnächst mein Gemüse aus Mett!“ – Es war mal wieder veganes Bullshit-Bingo in der Mittagspause im Aufenthaltsraum unter Arbeitskollegen. Drei von ihnen grinsten feist, ich rollte innerlich mit den Augen, hielt aber nach außen die Fassung. Ich setzte mich mit meinem Chili con Tofu zu ihnen, aber möglichst nicht zu nah an ihre aufgewärmten Mikrowellen-Gerichten. Nase zu, Sinne zu, Fokus auf mein köstliches Gericht. Schön scharf, mit Soja-Hack. Oder mit „granulatartig verarbeitetem Soja mit hackfleischähnlicher Konsistenz“. War das für den scherzenden Kollegen ausreichend politisch korrekt ausgedrückt? Denn es als Soja-Hack zu bezeichnen, hat ja offenbar seine zartfühlende Seele derart verletzt, dass er sich zu dem oben erwähnten Scherz bemüht fühlte.
Weshalb isst du denn Hack aus Soja?
Nachdem eine beleidigte Reaktion meinerseits allerdings ausblieb, kam die kumpelhafte Nachfrage: „Aber mal im Ernst, wenn Du kein Fleisch isst, wieso isst Du denn dann Soja-Hack? Musst du dir dein Fleisch mit Gemüse nachbauen ?“
Bei Fleischgerichten lehne ich nicht die Form ab, sondern den Inhalt!
Tiefes Luftholen. Innerlich bis 3 zählen. Mit ruhiger und gelassener Stimme antworten: „Nein, muss ich nicht. Aber ich lehne ja beim Fleisch nicht die Form ab, sondern den Inhalt.“
Der Kollege sah mich verwirrt an, ergänzte noch einen Halbsatz mit „na, Hack ist doch Hack“ und wechselte dann das Thema.
Schade, denn ich hätte ihm gerne weiter ausgeführt, dass ich durchaus in der Lage bin, bei meinem Essen zwischen Form und Inhalt zu unterscheiden. Dass ich kein Fleisch und auch keine Tierprodukte essen möchte, weil ich Geschmack und Geruch unappetitlich finde. Auch, dass ich beim Essen nicht das Tierleid vergessen kann, das durch industrielle Tierhaltung und das Töten von Tieren verursacht wird. Und dass dieser Aspekt aber genau den Inhalt des Produktes betrifft und nicht die Form.
Vegane Produkte: "Nachbau" oder eine Adaption von Bewährten?
Gerne hätte ich weiterhin ausgeführt, dass es sich kulturgeschichtlich als praktisch erwiesen hat, Essen in bestimmten Formen zuzubereiten und dass sich einige Varianten dabei besonders bewährt haben. Beispielsweise klein und gerollt wie ein Würstchen, in dünne Scheiben geschnitten wie beim Aufschnitt oder eben fein gekrümelt wie Hack. Je nach Gericht passt die eine oder die andere Form besser. Ich freue mich, dass ich auch bei meinen veganen Gerichten über diese Variationen verfügen kann.
Ein Nachbauen sei das aber keinesfalls, sondern eine Transformation oder Adaption von Bewährtem. Denn, wie gesagt, ich lehne den Inhalt ab, nämlich totes Tier, und nicht die Form, gerollt, geschnitten oder gehackselt. Und schließlich beiße er ja auch nicht in seine Kuh oder sein Schwein, sondern müsse dem Fleisch passend zu seinem Gericht eine Form geben. Und die finde ich per se nicht unappetitlich.
Allerdings, und das hätte ich dem Kollegen gegenüber wohl verschwiegen, gibt es bei mir auch Grenzen der Akzeptanz von Fleischähnlichkeit. Wenn die vegane Scheibe im Burger allzu fleischlich daherkommt, wenn Rote Beete eine blutige Saftigkeit suggerieren soll, wenn die rosa Würfel im Vleischsalat allzu sehr nach Schinken aussehen und schmecken, ne, dann bin ich nicht begeistert. Eine kleine Differenz zum Tierprodukt hätte ich bitteschön doch gerne. Für das gute Gefühl beim Essen, für das Wissen, dass es eben kein Fleisch ist. Aber da sind wir schon wieder beim Inhalt und nicht bei der Form.
„Ja, euch auch eine schönen Nachmittag, frohes Schaffen", sagte ich zum Ende der Mahlzeit.
Ich fischte die letzten Sojagranulatkrümel aus meiner Schüssel und dachte bei mir: „… und bis zum nächsten Bullshit-Bingo in der nächsten Mittagspause.“
"Veni, vidi, vegi" war die monatliche Kolumne zu Themen rund um die vegane Lebensweise auf meinem Blog "Einfach VEG". Da ich den Blog aus mehreren Gründen nicht mehr weiterführe, erscheint die Kolumne nun hier, jeweils am ersten Sonntag im Monat. Alle geschilderten Personen und Situationen sind frei erfunden, jedoch inspiriert von tatsächlichen Begebenheiten.