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Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit

Heute ist Tag der Deutschen Einheit. Für mich ist das ein wichtiger Tag, da ich sowohl in Nordrhein-Westfalen, als auch in Mecklenburg-Vorpommern wohne. Doch wohin steuert unser Land?
Modern und Preiswert
Symbolbild Ost: Modern oder abgehängt? Provinz in Sachsen-Anhalt, Genthin

Heute ist Tag der Deutschen Einheit. Für mich ist das ein wichtiger Tag, da ich sowohl in Nordrhein-Westfalen, als auch in Mecklenburg-Vorpommern wohne und in Sachsen meine Schwiegerfamilie sehr häufig besuche.

Ich bin froh und dankbar, dass heute vor 29 Jahren die DDR und die alte Bundesrepublik zu einem Land zusammengeschlossen wurden. Ich bin dankbar, dass ich beide Seiten kenne, und ich mag behaupten, ich kenne sie gut.

Doch in diesem Jahr fällt es mir schwerer, als in anderen Jahren, den Tag der Einheit begeistert zu feiern. Denn zuletzt traten verstärkt Missstimmungen zwischen Ost und West auf. In einigen Regionen in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen wählen 50 % eindeutig rechtsnationale Parteien, viele dort vertreten offen Nazi-Gesinnungen.
Das kann mit Protestwahlen, Abgehängtsein oder Perspektivlosigkeit nicht mehr ausreichend erklärt werden. Doch was steckt dahinter?

Es fehlt grundsätzlich an einer Aufarbeitung der Vereinigung. Was lief schlecht? Was passierte mit den Menschen, die ihr Heimatland verloren? Die sich plötzlich in einer anderen Gesellschaftsordnung wiederfanden? Wo haben sich Westfirmen an Ostkapital und der Infrastruktur bereichert? Wo wurden funktionierende Strukturen vernichtet? Wo wurden viele ausgenutzt, vielleicht Arglose, im Versprechen, jetzt komme der Westen? Weshalb sind in Spitzenpositionen in Ost und West vor allem Westbiografien zu finden?

Ich finde es bedauerlich, wenn ich im Ruhrgebiet nach wie vor den Begriff 'Dunkeldeutschland' höre, wenn ich nach Mecklenburg-Vorpommern fahre. Oft in Unkenntnis des Ostens. Im Stillen denke ich dann: Nein, ich fahre in den schöneren Teil unseres Landes.

Was ich mir wünsche? Dass wir uns noch besser kennenlernen.

Hallo „Wessies“: fahrt mal ins vorpommersche Hinterland, nicht nur nach Rügen und Usedom. Fahrt durch die Uckermark, das Oderland, nach Cottbus, Görlitz, Bautzen und den Thüringer Wald. Und vielleicht auch nach Stendal und Neubrandenburg. Fahrt mit dem Fahrrad an der Havel entlang, den Oder-Neisse-Radweg, durch die Elbauen. Spaziert nicht durch Dresden, sondern durch die Leipziger Südstadt, nicht durch den Prenzlauer Berg, sondern durch Weißensee. Schaut Euch einen DEFA-Film an, hört Silly und Gundermann.

Und hört den Menschen zu und fragt nach ihren Sorgen.

Hallo „Ossies“: erzählt Eure Geschichte, das was Ihr oder Eure Eltern erlebt haben. Was gut war in der DDR und was schlecht war. Bringt Eure Biografien ein, die Eurer Familien. Wo seid Ihr angeeckt, weshalb habt Ihr manches in Kauf genommen. Und redet Ihr es heute schön? Oder redet Ihr es gerade schlecht? Das ist 30 Jahre nach 1989 noch relevant.

Und kommt auch mal vorbei. Und nicht nur nach Hamburg oder München, sondern auch nach Bielefeld und Gelsenkirchen.

Und hallo alle Menschen in unserem Land: hört nicht nur WDR 2, MDR 1 oder Hitradio Ostseewelle, hört auch mal Deutschlandfunk. Hört die Geschichten aus Ost und Süd und Nord und West.

Ich wünsche mir mehr Normalität. Es gab die DDR 40 Jahre lang, ein vereinigtes Deutschland nun fast 30 Jahre. Ich fühle mich als Westfale in Mecklenburg heimischer, als in Bayern oder in der Pfalz. Und doch ist es häufig relevanter, ob ich "Ossie" oder "Wessie" bin, wichtiger als die Region, aus der ich stamme. Das finde ich bedauerlich.

Und insgeheim wünsche ich mir, dass es wichtiger ist, dass wir Europäerinnen und Europäer sind, als Deutsche.

Ich wünsche mir mehr Neugierde aufeinander, weniger Voreingenommenheit.

Ich wünsche mir einen Blick für Relevanz. Dass Unzufriedenheit nicht auf diejenigen projiziert wird, die am wenigsten dafür verantwortlich sind. Dass nicht diejenigen Gehör finden, die einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten. Und dass wir erkennen, dass wir in einer globalen Welt Dinge nur gemeinsam erreichen können.

Doch bin ich gerade etwas ratlos, weil ich die Tendenz in eine andere Richtung gehen sehe.

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