Springe zum Inhalt

Villa Später

"Villa Später" von Oliver Hübner - Lesebühnentext (2008, Schmalz und Marmelade) „Vormittags Sonnenschein bei Temperaturen um 7°, im Tagesverlauf bewölkt, vereinzelt Regen...“ Später griff nach dem Radiowecker ...
Villa Später - Illustration Gerald Hross
Cover: "Villa Später", Illustration: Gerald Hross

„Vormittags Sonnenschein bei Temperaturen um 7°, im Tagesverlauf bewölkt, vereinzelt Regen...“

Später griff nach dem Radiowecker, fuchtelte etwas an den Knöpfen herum und schaltete die Lautstärke auf voll, verstellte dann den Sender, "... krrzzz ...", und fand schließlich doch den erlösenden Ausknopf. "Aua". 10 Uhr, sein Kopf schmerzte. „Zur Uni muss ich jetzt auch nicht mehr“, dachte er und drehte sich um, „gleich in die Mensa und dann in die 2 Uhr Vorlesung.“

Später war 28, im 16. Semester Germanistikstudent, kurz vor dem Examen, schon ein paar Semester war er kurz vor dem Examen. Über die Bedeutung des Futur II in Kurzgeschichten. Wenn er sein Studium abgeschlossen haben würde, würde er Journalist sein wollen. Irgendwas cooles mit Medien, in jedem Fall. Mit neuen Medien, klar!

Er schrieb auch schon eine Weile an einem Buch. An seinem ersten Roman. Wenn er das Skript nur endlich mal fertig stellen würde! Er könnte es an Verlage schicken. Vielleicht bräuchte er seine Magisterarbeit auch gar nicht mehr zu schreiben. Dann bräuchte er auch gar nicht mehr als Journalist zu arbeiten. Er würde Autor werden und könnte jedes Jahr ein Buch schreiben. Er würde in einer Finca in der Toscana leben. Er würde auf der Terrasse sitzen und Wein trinken und dabei schreiben. Mit 40 wollte er sowieso nicht mehr arbeiten. „Wer weiß, ob ich mit 40 überhaupt noch lebe?“, dachte Später.

„Hat man in der Toscana überhaupt Fincas? Hat man die nicht in Spanien?“ Nach Spanien wollte Später ganz bestimmt nicht. Also eine Villa! Das Wort Villa schreckte Später aber ab. Das klingt so groß, so ganz weit weg. So toll war sein Roman auch wieder nicht. Aber in der Toscana ist eine Villa auch eher wie in Spanien eine Finca. Also ein Haus, nicht wie eine Villa in Zehlendorf oder sonst wo, wo Villen stehen. So ein Haus mit Terrasse sollte es jedenfalls sein. Am besten schon mit 30 und nicht erst mit 40.

Mit 40 würde Später ja auch schon Kinder haben, vier oder fünf Kinder wollte er mal haben. Aber eben noch nicht gleich. Erst die Stille der Terrasse genießen. Wenn ihm die Stille der Terrasse so dermaßen auf den Geist gehen würde und er alle Romane, für die er die Stille als Inspiration bräuchte ... und vor allem die Frauen, er wollte ja auch noch was erleben, mit Beate wollte er nicht alt werden, jedenfalls dann, ja dann, da war Später sich ganz sicher, dann würde er Kinder haben wollen. Und zwar vier oder fünf. Und Männer können ja auch immer noch Kinder haben.

Er würde es sich auch leisten können! Seine Villa wäre, auch wenn sie nicht vergleichbar mit einer Villa in Zehlendorf wäre, dennoch groß und hätte Platz und seine Kinder sprächen Deutsch und Italienisch. Vielleicht wären Kinder in so einer Villa gar nicht laut. Sie müssten ja nicht auf der Terrasse spielen und außerdem wäre da ja auch eine Frau, müsste ja, die auf die Kinder aufpassen könnte, damit sie nicht laut sind, zumindest nicht auf der Terrasse. Aber wer weiß!

Die Frau hätte schwarzes Haar und wäre wunderschön, das wusste Später, sie hieße Marcella oder Francesca. Wenn schon Toscana dann richtig.

Später hatte einen Bausparvertrag. Von seinem Opa geschenkt bekommen zum 18. Andere hatten Mopeds bekommen, Jürgen sogar ein Auto. Er einen Bausparvertrag, ausgerechnet. "Für Später", sagte Opa und lachte hämisch.

Später dachte daran, wie viel wohl inzwischen auf seinem Bausparvertrag drauf wäre und ob es vielleicht jetzt schon für eine Finkavilla reichen würde. In Zehlendorf würde es nichtmal für einen Fahrradschuppen reichen. Aber er hatte ja auch kein Fahrrad. Vielleicht reichte es wenigstens für einen Urlaub in der Toscana. Mal raus aus der Stadt, den Geist durchpusten. In diesem Semester würde er eh nicht mehr viel machen können. Außer seiner Examensarbeit, aber das eilte ja nicht.

------------------------
Der Text "Villa Später" entstand für die Schweriner Lesebühne "Schmalz und Marmelade" und wurde erstmals im März 2008 vorgetragen. Später wurde er zum Titelgeber des Buches "Villa Später und andere Lesestücke des Herrn Ivalo", erschienen 2018 im Verlag Blogwerk (Selbstverlag.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert