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Veni, vidi, vegi 13 – Lob des Aufstrichs

Aufstrich vegan

Am Anfang war der vegane Aufschnitt – aus Weizenprotein und Erbsen. Wichtig war die Wiedererkennbarkeit des Vertrauten. Doch wer länger vegan lebt, entdeckt bald: Das wahre Glück liegt nicht in der Reproduktion von Aufschnitt, sondern in der geeigneten Form für die neuen Inhaltsstoffe. Für mich ist es der Aufstrich – ein Plädoyer für pürierte Bohnen, kreative Resteverwertung und den Mut, das Floß am Ufer zurückzulassen.

Wurst, keine Wurst

Als ich mich zunehmend vegan ernährte, hatte ich das Bedürfnis, so zu essen wie zuvor – der Form nach zumindest. Ich wollte tierische Produkte vermeiden, aber nicht die Gewohnheit, eine Scheibe aus irgendetwas auf mein Brot zu legen.

Zum Glück gibt es dafür Salami aus Weizenprotein, Scheiben, die wie heller Wurstaufschnitt aussehen, aber aus Sonnenblumen oder Lupinen hergestellt werden, und gelbliche „Genießerscheiben“ aus Kokos- und Mandelfett, die aus irgendwelchen unverständlichen Gründen nicht Käse heißen dürfen – die dem Gouda aber mehr ähneln als die Leberkässemmel von Markus Söder.

Alles, was irgendwie nach Aufschnitt aussah, war willkommen zum Abendbrot. Gewöhnung, vermute ich. Andernfalls gäbe es wohl Entzugserscheinungen.

Natürlich ist das verständlich. Wer jahrelang mit Wurstbrot sozialisiert wurde, braucht etwas zwischen Brot und Belag, das vertraut aussieht – auf das man Senf streichen kann. Ein Stück kulinarische Identität, ein Trost des Bekannten in einer neuen Essenswelt. Und ja, ich habe mit Händen und Füßen mein Recht auf Aufschnitt verteidigt, als ich mein Essen nach und nach auf vegan umstellte – auch gegenüber Kollegen, die nicht verstehen wollten, weshalb man sich „alles aus Pflanzen nachbauen“ müsse.

Und jetzt? Neue Inhalte bieten mir die Möglichkeit für neue Formen.

Der Moment des Übergangs

Denn irgendwann, ganz leise, kam die Wende. Ich bemerkte, dass die Salami auf Weizenproteinbasis zwar aussah wie früher – aber eigentlich gar nicht mehr so schmeckte, wie ich dachte. Und dass sich mein Appetit längst anders orientiert hatte.

Ich entdeckte die Welt der Aufstriche. Und es war, als würde ich in ein neues Geschmacksparadies eintauchen. Linsen, Bohnen, Paprika, Möhre, Sellerie, Äpfel, Birnen, Nüsse – alles kann, nichts muss. Einfach ein paar Reste vom Vortag – Bohnen, Linsen, Gemüse, das zu viel gekocht wurde – etwas Gewürz, ein Schuss Öl, Pürierstab drauf, fertig ist der Brotaufstrich. Jeder Löffel anders, jeder Tag neu.

Vielfalt im Glas

Ob herzhaft mit Räuchertofu, frisch mit Zitronensaft oder cremig mit weißen Bohnen – Aufstriche sind die eigentlichen Stars des veganen Abendbrots. Und das Beste: Sie sind ehrlich. Sie wollen nicht so tun, als wären sie etwas anderes. Sie sind bunt, einfach, überraschend lecker.

Vielleicht hast du, lieber Wurstfetischist, ja recht: Ich esse vegan, brauche also gar keine Salami, die ich mir aus Getreide bastle. Mein Sellerie-Apfel-Linsen-Aufstrich schmeckt hundertmal besser.

Ich glaube, das ist auch ein kleiner Reifeprozess. Am Anfang braucht man Ersatz, später entdeckt man Alternativen. Aufschnitt war mein Übergangsobjekt – das Floß, das mich ans andere Ufer brachte.

Das Floß am Ufer

Es gibt ein Bild aus der buddhistischen Lehre: Sie beschreibt die Lehre selbst als Floß, das einem hilft, einen Fluss zu überqueren – einen Geisteszustand hinter sich zu lassen und einen neuen zu erreichen. Doch wenn man das gegenüberliegende Ufer erreicht hat, bringt es einen nicht weiter, es wird zur Last. Also lässt man es am Ufer zurück – oder schickt es zurück, für die Nächsten, die den Fluss überqueren möchten.

So halte ich es mit dem Aufschnitt. Er hat mir geholfen, in der pflanzlichen Welt anzukommen. Aber jetzt lasse ich ihn los – mit einem dankbaren Blick zurück und einem dicken Brot mit Apfel-Linsen-Sellerie-Aufstrich in der Hand.

Auch die „Genießerscheiben“ habe ich eingetauscht – gegen streichbaren Frischkäseersatz-Aufstrich, den ich gerne mit Pfeffer aus der Mühle oder Radieschenscheiben verziere. Oder, wie man heute so schön sagt, „pimpe“. Ist das ein gutes Wort? Wie auch immer: köstlich, pflanzlich, lecker!


"Veni, vidi, vegi" ist meine monatliche Kolumne zu Themen rund um die vegane Lebensweise. Sie erscheint jeweils am ersten Sonntag im Monat. Alle geschilderten Personen und Situationen sind frei erfunden, jedoch inspiriert von tatsächlichen Begebenheiten.

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