In der Gartenkolonie am See, am Rande der Stadt, war es Wochenende. Samstag, oder auch Sonnabend, wie man in diesem Teil der Republik lieber sagt. Da der Sonntag in der Gartenkolonie der Erholung gewidmet ist, ist der Sonnabend ein beliebter Tag für die Gartenarbeit. Und da eine Gartenkolonie in der Regel als Verein organisiert ist und es viele Gemeinschaftsflächen gibt, um die sich auch gekümmert werden will, bringt das Kleingartenleben regelmäßig Arbeitseinsätze mit sich. Auch die finden meist an einem Sonnabend statt. Mein erster Arbeitseinsatz war an diesem noch sehr warmen Sonnabend Mitte September.
Die Wasserleitung im Zeisigweg sollte ausgebessert werden. Der Kleinbagger baggerte schon und ein gutes Stück des Weges war bereits mit einem Graben versehen, als ich um 8:55 Uhr am Treffpunkt erschien, ausgerüstet mit Spaten und Arbeitshandschuhen. Zwei Spaten breit und einen Meter tief war der Graben. Etwa. Und 120 Meter lang. Die Hügel mit dem Aushub waren bis in die angrenzenden Hecken aufgehäuft und immer wieder rollte ein Stein die steile Böschung hinab, zurück in den Graben.
Etwa 20 Mitgärtnerinnen und Mitgärtner standen herum, von Jugendlich bis Rentenalter, gemittelt etwas über Landesdurchschnitt. Herzliche Begrüßungen untereinander, neugierige Blicke auf den Neuling.
„Da sprudelt es schon!“
In der Tat, die Wasserleitung war getroffen. Vermutlich ein Stein, der von einem Baggerzahn zu sehr gegen das Rohr gedrückt wurde, hatte die Wasserleitung im Graben in eine kleine Sprinkleranlage verwandelt, allerdings ohne Aussicht, ein nahes Rasenstück zu befeuchten.
„Da muss ne Manschette drum!“
Geballte Kompetenz und Jahrzehnte an Gartenkolonieerfahrung waren vor Ort, Abhilfe war schnell geschaffen. Ich fühlte mich gleich gut aufgehoben in einem kompetenten Team. Oder Kollektiv, wie man vor einigen Jahren in diesem Teil der Republik lieber sagte.
Mein erster Arbeitseinsatz: Runter in den Graben, Steine aufklauben und dort nachschürfen, wo der Graben noch nicht die vorgegebene Tiefe von einem Meter hatte. Der Spaten diente als Maß, von der Spatenspitze bis zur Schraube am Griff exakt ein Meter. Dort, wo der Graben bereits zu tief war, siebten zwei Frauen die aufgehäufte Erde zurück in den Schacht. Bitte keine Steine, nur Erde, die ich unten zu verteilen hatte. Das war eine deutliche Erleichterung, denn Erde unten zu verteilen, ist einfacher, als Erde aus den Graben hinauszuhiven, auch, wenn er nur etwa einen Meter tief ist. 9:45 Uhr, unbedeckter Himmel 22 Grad. Mit Sonnencreme gecremt, Schutzfaktor 30.
Meter für Meter wurde die Grabentiefe überprüft und ausgeglichen. Doch bald war diese einfache Aufgabe vollbracht.
„Frag mal Vera, Manni oder Mandy, die wissen, was zu tun ist.“
In der Kolonie wird geduzt. Und alles ist gut organisiert. Die Kolonie ist eingeteilt in Bereiche, die wiederum in Unterbereiche, diese in Wege und dort hat jede Parzelle eine Nummer. Die Wege sind nach Vögeln benannt. Das gibt mir ein gutes Gefühl, da die gefiederten Freunde nicht als Kirschendiebe gesehen werden, sondern als ein gleichberechtigter Teil der Natur. Amselweg 41, dort liegt unsere Parzelle. Die Nummern entlang der Wege sind allerdings nicht vergleichbar mit Hausnummern an einer Straße, denn jede Parzellennummer gibt es nur ein Mal in der ganzen Kolonie. Auch gibt es höhere Nummern als die Gesamtanzahl der Parzellen. Weshalb auch immer. Doch die Reihenfolge wird eingehalten: Neben Parzelle 289 liegt Parzelle 290, dann 291, so viel Ordnung muss sein.
Mandy jedenfalls hatte eine Aufgabe mich. Vom Hauptgraben aus waren Seitenschächte ausgehoben. Diese hatten, vermutlich da der Kleinbagger zu ihnen in einem ungünstigen Winkel stand, nicht die richtige Tiefe. Diese führten bis an die Parzellengrenze. Meist hing eine Heckenpflanze mit halblosem Wurzelwerk über dem Schachtende. Tiefe 40 Zentimeter.
„85, besser 90 sollen die haben!“, erklärte Mandy. Gemeint war Tiefe in Zentimetern.
Mein Schacht war aus Beton, so kam es mir vor. Ich bröckelte den harten Lehmboden eher milli- als zentimeterweise ab und konnte so alle paar Minuten einen halben Spaten voll Erdreich in die Hecke befördern.
„Lass dir Zeit, du musst nicht vor 13 Uhr fertig werden“, sagte Mandy und konnte sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen.
Was nach einem flapsigen Spruch klang, war dennoch ein ernster Rat, denn so richtig übereifrig war niemand. Es waren viele zum Einsatz erschienen, mehr als es Arbeitsplätze in der Grube gab. So war es auch eine anerkannte Mitarbeit, von oben Ratschläge oder einfach aufmunternder Zuspruch zu geben.
„Jetzt mit Wucht, jawoll!“, riet mir Vera, die sich auch nicht gut bücken konnte, wegen Rücken, so sagte sie, aber in dieser Gartensaison noch zweieinhalb Stunden Vereinsarbeit ableisten musste. Aus Ermangelung an leichteren Tätigkeiten war die Motivation von der Seitenlinie eine anerkannte Vereinsleistung. Mir sympathisch, denn in der Freizeit soll man sich auch nicht schon vormittags kaputtschinden, es wartete ja auch noch der eigene Garten mit Aufgaben für den Nachmittag.
"Oh, du bist außer Puste? Dann machst Du hier etwas falsch!", so sagte mir Ingo aus dem Meisenweg, ein langjähriges Vereinsmitglied, der mir als grabender Grubennachbar gleich sympathisch war.
Veras Motivationskünste waren es allerdings nicht, die wirklich Abhilfe in meinen Betonschacht brachten, sondern Tills Spitzhacke. Till, ein langer Schlacks um die 40, ein Metal-Band-T-Shirt tragend, war für eine gute halbe Stunde mein nächster Grubenkumpel. Er hackte, ich schüppte den Schacht frei. Wir waren ein prima Team, aka Kollektiv. Unser Seitenschacht wurde lange vor 13 Uhr fertig.
Gelegenheit für eine Trinkpause. Und dafür, den Zeisigweg einmal auf und ab zu gehen. Und bei den anderen für einen kurzen Schnack stehenzubleiben. Es war schließlich die erste Gelegenheit, die Mitgärtnerinnen und Mitgärtner kennenzulernen. Und mir nach einer Weile von Manni eine neue Aufgabe abzuholen. Nächster Seitengraben, direkt am Kleinbagger, allerdings war der Boden hier dankbar und weich.
Gegen 12:30 Uhr waren die meisten Aufgaben erledigt, ich ließ mir auf meinem Laufzettel die ersten dreieinhalb Stunden quittieren.
So kehrte ich in meine Parzelle zurück, Bereich 1, Amselweg 41, und begann das Nachmittagswerk an Jäten und Beetpflege, in der Gartenkolonie am See, am Rande der Stadt. Doch zuvor lud der See mich ein, zu einem letzten Bade der Saison.
Die Gartengeschichten, auftretende Personen, Situationen und Gegebenheiten, auch die Person des fiktiven Ich-Erzählers, sind frei erfunden und/oder literarisch überhöht. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und real existierenden Gartenkolonien sind rein zufällig.