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Kunst betrachten – Innerer Dialog, eine Galerie besuchend

Eine erbauliche Betrachtung einer erbaulichen Betrachtung

Kunst betrachten - Lesebühnentext Oliver Hübner
Perspektive, geeignet zur Kunstbetrachtung

Früh begann der Mensch seine Umwelt zu gestalten. Zum Beispiel der Höhlenmensch. Er nahm ein Stück Holzkohle vom Feuer vom Vortag in die Hand und begann die Höhlenwand zu bekritzeln. Der nächste nahm, in Ermangelung eines Stücks Holzkohle, vielleicht einen Knochen und tunkte ihn in die Blutlache vom Schlachtfest von gestern und kritzelte etwas dazu.

"Ey, musst Du jetzt schon anfangen mit bunt? Ich hab gerade erst Schwarz-Weiß-Malerei erfunden und schon ist meine Technik veraltet!"

Die erste Kunstdebatte war entfacht.

Wenn ich Kunst betrachte, betrachte ich eigentlich nicht Kunst, sondern mich selbst, wie ich Kunst betrachte. Ich stelle nicht folgende Fragen: "Warum ist das blau? Warum das orange und warum das eingedellt?" Sondern eher: "Was macht das Blau, das Orange, die Delle mit mir?"

Macht es mich nervös, neugierig, empört, heiter, erfüllt? Oder befriedigt? Ja, dann hat die Kunst doch ihre Aufgabe erfüllt. Oder nicht? Hat Kunst eine Aufgabe, außer schön zu sein. Moment - Muss sie überhaupt schön sein? Also hat sie eine Aufgabe, außer zu sein? Muss sie nicht wenigstens betrachtet sein? Also außer vom Künstler selbst, der sie ja betrachten muss, da er sie ja, äh, kunst?

Kunst ist Kunst, weil sie kunst. Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose. Ein Pferd heißt Pferd, weil es fährt. Da-da-da! Ich seh dich, du siehst mich nicht.

Wieso, weshalb, warum. Wer nicht kunst ist dumm!

Eine Exkursion:

Kunst, la Kunst, la Kunst. La-la.

Kunst, di-dum, di-dumm.

Tra-ri tra-ra, die Kunst ist da! Fallera!

Den Sinn erkennen im Unsinn. Der Mensch ist geneigt, einen Sinn zu erkennen in kleinsten Referenzen an das, was er kennt. Wo er einen Zusammenhang herstellen kann, da siehrt er Sinn. Ein Strich - "Ah, ein Mensch." Noch ein Strich: Noch ein Mensch, ah! Sinn!"

Die Geschichte entsteht im Kopf. Was ist der Mensch doch für ein seltsames Wesen. Seit Erfindung des Kunstdüngers und des Atomkraftwerkes hat er auf einmal Zeit. Und weiss sie nicht anders zu füllen, als durch Kunst (wer es kann) und dadurch, diese zu betrachten (wer es nicht kann). Er kann sie natürlich auch anders füllen. Durch Fußball. Spielen oder anschauen, je nachdem, ob man es kann oder nicht. Oder Ballerspiele. Spielen. Alles Kultur. Pop-Kultur. Somit Kunst.

Kunstgenuss - Kunstverdruss

Kulturgut - Kulturverein - Kulturausschuss

Ausschuss

Ich umgebe mich mit Kunst, damit ich mich nicht mit Dir umgeben (sprich: abgeben) muss.

Ich betrachte Kunst, also bin ich.

Ich betrachte Kunst, also überlege ich.

Ich betrachte Kunst, also bin ich überlegen.

Ich betrachte Kunst, also reflektiere ich mich als überlegen.

Hm, überlegen.

Aber Kunst braucht kein also, kein weil, kein Argument. Kunst ist schließlich Augment.

Das verstehe ich nicht.

Ich auch nicht.

Aber es klingt schön. Schön und klug, also ist es richtig. Also muss es richtig sein!

Aber Moment: Korrelation ist keine Kausation.

Hä?

Na, das und das heißt nicht das weil das!

Das ist wie mit den Störchen.

Hä?

Also es gibt weniger Störche und weniger Kinder, aber noch lange nicht weniger Kinder, weil weniger Störche. Die Zahl der Störche ist mit der Zahl der Kinder korreliert, aber das eine ist nicht der Grund, nicht die Ursache für das andere.

Aber was hat das mit Kunst zu tun?

Weiß grad nicht. Und wieso Korrelation?

Koalition ist auch manchmal Kunst, also hohe Kunst.

Lenk nicht ab! Lenk nicht ab.

Nur ab und zu!

Wozu?

Für die Kunst. Also wofür, nicht wozu?

Hä?

Na, wozu?

Na, für die Kunst!

Bingo!

Kunst-Spaziergang Nr. 2:

Malen nach Zahlen

Malewitsch - Abramović

Picasso - Pik As

Manet for nothing

Milan Lovers - Lehman Brothers

Blauer Reiter - Blaue Phase - Immobilienblase. Platzt nicht auch die Kunst, wenn ich sie zu lange betrachte?

Marktrelevanz - Aquarell-Diplom (dann hab ich was, was Eigenes!)

Ich werde daraus jetzt nicht mehr schlau!

Musst Du auch nicht, mach deins draus! Wie fühlt es sich denn an, wenn du dich ganz versenkst in die Flächen und die Striche und die Farben?

Hm.

Hauptsache das Denken kommt in Gang.

Hm?

Na, hat doch funktioniert.

Also: Kann das nun weg oder nicht?

Dieses Bild hier. Oder diese Skulptur. Diese Kunst eben: Muss ja nicht zwangsläufig 5000 Euro kosten. Könnte ja auch 500!

Aber dann ist sie auch nur 500 wert, oder? Und das wäre doch schade!

Hä?

Na, sag ich doch!

Nix sagst Du!

Du stellst Fragen in den Raum!

Aber macht Kunst es anders?

Wenn sie es kann!

Aber kommt Kunst nicht von können?

Kunst ist Kunst, eine Rose eine Rose, ein Pferd ein Pferd.

Welche Wörter müssen noch unbedingt vorkommen in einem monologischen Aufsatz über Kunst?

Vielleicht:

Ästhetik. Relevanz. Schönheit. Farblichkeit. Bleiweiß, Acrylblau, Scharlachrot. Meisterlich. Sonnenuntergang. Layers, just a little something here and there, look!

Vernissage, Finissage. Finit!

Hirnaktivität, geringfügig beschäftigt. Kunstraub, Raubdruck, Druckbuchstabe. Buchstabensuppe.

Hab Hunger. Ist auch schon spät. Ich gehe dann mal. Was essen. Und was trinken. Kunst ist schließlich anstrengend. Oder war das jetzt nur das Nachdenken darüber. Nein. Nein. Nein, ich sags jetzt nicht.

Naaa gut, ich sags doch: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.

Und Hunger.

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Der Text "Kunst betrachten" entstand im Jahr 2013 nach einem Besuch im Kunstmuseum Ahrenshoop. Geschrieben habe ich ihn für die Lesebühne Ministerium für Satz, Bau und Zeichen, zuletzt vorgetragen bei einer Lesung mit der Lesebühne 3 auf A4 in der Galerie Dezernat 5 in Schwerin.

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