
Eigentlich war es ja gut gemeint. Die Deutsche Bahn kennzeichnete während einer Aktion zum veganen Monat Veganuary viele Produkte im Bordbistro als vegan. Auch Pommes frites – die ja in der Regel ohnehin rein pflanzlich sind. Doch anstelle von Werbung war es eher das Gegenteil: Die Kennzeichnung vegan schreckte offenbar eher ab, als dass sie für pflanzliche Kost geworben hätte. Das Label löste also keine Begeisterung aus, sondern Reaktanz.
Reaktanz ist „die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume“. Sie entsteht, wenn wir das Gefühl haben, in unserer Entscheidung eingeschränkt zu werden – etwa durch Verbote, Zensur oder psychischen Druck.
(Quelle: Wikipedia, Zitat nach Gerhard Raab, Alexander Unger, Fritz Unger: Marktpsychologie)
Für die Bahn – und alle, die sich über klare Kennzeichnungen von pflanzlichen Produkten freuen – war der Fall bedauerlich. Allerdings zeigt eine Studie aus dem Jahr 2023 Alternativen: Bei der Kennzeichnung als pflanzlich reagierten deutlich weniger Testpersonen ablehnend, bei der Bezeichnung gesund und nachhaltig noch weniger.
Ich würde der Deutschen Bahn allerdings nicht empfehlen, ihre Pommes frites künftig als gesund und nachhaltig auszuweisen. Das führte wohl direkt zum nächsten Empörungssturm in den sozialen Medien.
Warum hat „vegan“ so einen schweren Stand?
Vermutlich, weil der Begriff über Jahre hinweg gezielt „geframet“ wurde – als extrem, elitär oder übertrieben. Er ist emotional aufgeladen, kaum mehr neutral lesbar.
Schade eigentlich. Denn mir würde es in vielen Situationen einfach helfen, wenn der Speisekarte klar zu entnehmen ist, dass eine Speise rein pflanzlich ist.
Das muss gar nicht durch das Wort vegan passieren. Mir reicht ein kleines grünes Doppelblatt, wenn irgendwo erklärt wird, dass es „vegan“ bedeutet – das grüne Einzelblatt hingegen „nur“ vegetarisch. Ob das ebenfalls Reaktanz auslöst?
Das verrät die oben zitierte Studie leider nicht.
Eine Speisekarte ohne Absicht
Dem Begriff „Reaktanz“ begegnete ich erstmals im Buch „Theater ohne Absicht“ von Gunter Lösel. Dort beschreibt er ein Improvisationstheater, das dem Publikum nicht mit einer Botschaft begegnen möchte, es also nicht belehren oder beeinflussen will. Stattdessen untersucht es den Moment – wie ein kleines „Jetzt-Labor“.
Übertragen auf die Gastronomie heißt das: Eine Speisekarte ohne Absicht.
Eine Karte, die informiert, aber nicht missioniert. Die genug Signalwirkung hat, um Orientierung zu bieten, aber so unaufdringlich bleibt, dass Mischköstler*innen sich nicht genötigt fühlen, das moralisch Vertretbare zu bestellen.
Oder andersherum: dass sie guten Gewissens das Schweineschnitzel wählen können – obwohl auf der gleichen Seite auch das Schnitzel aus Weizenprotein steht. Denn das ist ja genau die Freiheit, derer sie sich durch das Wort vegan beraubt fühlen.
Natürlich würde ich mir wünschen (und das Schwein vermutlich auch), dass sich mehr Menschen für das Weizenprotein-Schnitzel entscheiden. Aber weshalb sollte man nicht die Erkenntnisse der Marktpsychologie nutzen, um zu erreichen, dass sie dabei nicht das Gefühl haben, manipuliert zu werden?
Umgekehrte Kennzeichnungslogik
Am liebsten wäre mir ohnehin eine Umkehr der bisherigen Logik.
Warum immer das Fehlen von Zutaten markieren – ein grünes Blatt für „ohne Fleisch“, zwei Blätter für „ohne Fleisch, Eier und Milch“?
Viel schöner fände ich das Gegenteil: Jede Zutat bekommt ihr Symbol.
Ein kleines Schwein neben dem Schnitzel, ein Rind neben dem Burger, eine Pute neben dem „Vital-Salat“, ein Glas Milch neben der Pizza und dem Cappuccino, ein Ei neben dem Pfannkuchen.
So wüsste ich: Wenn kein Symbol abgebildet ist, kann ich es guten Gewissens wählen.
Und Frau oder Herr Mischköstler*in sähe genau, was sie/er später auf dem Teller haben wird – ohne dass ein grünes Blatt ihre Reaktanz triggert.
Zum Wohl – aber bitte ohne Aufregung
Bleibt abschließend die Frage: Wie viele würden wohl ihr Bier stehen lassen, wenn es plötzlich als „vegan“ gekennzeichnet wäre? Eine Umfrage auf dem Oktoberfest zeigte: Viele. Eine spaßhafte Umfrage dort hat gezeigt, dass die meisten Befragten veganes Bier bedenklicher fänden als alkoholfreies Bier. Und das, obwohl das bayerische Reinheitsgebot von 1516 nur folgende Zutaten erlaubt: Gerste, Hopfen und Wasser. Ein Ei oder Joghurt suche ich da vergebens!
Man könnte also sagen: Der Mensch trinkt seit Jahrhunderten veganes Bier. Und war glücklich, da es ihm nicht bewusst war!
Ich persönlich stoße lieber informiert an: Auf Pommes frites ohne Absicht und Bier ohne Tier. Prost!
"Veni, vidi, vegi" ist meine monatliche Kolumne zu Themen rund um die vegane Lebensweise. Sie erscheint jeweils am ersten Sonntag im Monat. Alle geschilderten Personen und Situationen sind frei erfunden, jedoch inspiriert von tatsächlichen Begebenheiten.
