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Schöne Gedanken denken üben

Schöne Gedanken
Schöne Gedanken denken üben: Philosophie mit Eichhörnchen

Ja, nu aber: Mal schöne Gedanken machen, hopp-hopp! Schließlich ist ein neues Jahr. Das kann nicht so miesepetrig weitergehen, wie das vergangene Jahr. Positiv sein! Avanti-avanti! Kopf hoch, alles eine Frage der Einstellung, zacki-zacki, spicki-spacki! 1-2-3, auf Los geht’s los! Klatsch-klatsch in die Hände, Miesepeter-Ende! Schacka-lacke-wacker-wacker!

So. Das ist Selbstmotivation genug. Modus steht auf positiv. Nu aber los:

Schöne Gedanken, Übung 1

Situation: Frühstück, Müsli, gab es gestern schon.
Schöner Gedanke: Oh, diese Müslischale, die so formschön ist, wie köstlich schmeckt das mir bereitete Müsli wohl aus dieser!
Analyse: Ja, für den Anfang nicht schlecht. Der alltäglichen Situation ist ein schöner Aspekt abgewonnen. Ich bin sicher, dass das Müsli heute besser schmeckt, als gestern. Aber war das mit „schöne Gedanken“ so gemeint? Impliziert „schöne Gedanken“ nicht auch „elegant gedacht“? Oder sogar „elegant gedacht, ha!“ Außerdem kam das Wort „schön“ im Gedanken vor, ich wollte doch schön denken und nicht „schön“ denken. Also: etwas subtiler.

Schöne Gedanken, Übung 2

Situation: Einkauf mit dem Auto im Edeka, vergesse auf dem öffentlichen Parkplatz die Parkscheibe, bekomme Strafzettel über 25 €
Schöner Gedanke: Ach, die Stadt kann es gut gebrauchen, so tue ich ein gutes Werk. Besser, als wenn ich in einem Parkhaus 8 € bezahle und damit nur ein großes Immobilienkonsortium unterstütze. Ich erlaube mir noch einen Scherz und überweise 25 € und einen Cent als Trinkgeld, lustig!
Analyse: Schon besser. Aus einer Situation, in der ich mich häufig aufrege, über mich selbst und über die böswilligen Strafzettelverteiler*innen, bin ich ganz einfach herausgekommen. Ich musste niemandem die Schuld für meine Nachlässigkeit geben. Zusätzlich habe ich meine Laune aufgebessert, indem ich einen eigenen Fehler mit Humor kommentiert habe. Aber war das jetzt auch elegant in seiner Denkweise? Ich möchte, dass es auch philosophisch ist, anmutig fast. Das geht noch besser!

Schöne Gedanken, Übung 3

Situation: Ich (* Name von der Redaktion geändert) möchte Yoga machen, aber die Katze liegt auf der Yogamatte. Sie schaut mich so an, dass sie mir klar macht: Hier stehe ich nicht auf!
Gedanke: Glückliches Tier! Du hast wirklich geschafft, was ich mit diesem seltsamen Verbiegen so kläglich versuche. Du ruhst in dir und im Universum, hast Entspannung, Gelassenheit und deine Mitte gefunden. Was bist du doch für eine weises Wesen. Ich lasse dich ruhen und mache eben ein andern Mal Yoga.
Analyse: Ja, gar nicht schlecht. Ich wurde in einem festen Vorhaben von meinem Plan abgehalten und habe es positiv gesehen. Der Katze habe ich dabei sogar ein positives Attribut gegeben, also nicht meine Enttäuschung auf sie projiziert, was schon fortgeschrittenes schönes Denken ist. Zu klären: War ich der Katze eventuell dankbar und ich habe die Situation als Vorwand genommen, um meinen Plan aufzuschieben?

Schöne Gedanken, Übung 4

Situation: Mein Fusballverein, vor nicht allzu langer Zeit noch Anwärter auf einen Championsleague-Platz verliert vier Mal in Folge, unter anderem bei einem Verein aus dem Tabellenkeller.
Gedanke: Ach, sind die anderen halt auch mal dran! Man muss auch mal gönnen können! Außerdem spare ich so Zeit, da ich mich erst einmal nicht so sehr für Fußball interessieren muss. Ist sowieso völlig zu Unrecht so gehypt, dieser Fußball. Und auf welchem Platz stehen eigentlich gerade Schalke und der HSV?
Analyse: Auch das ist gut, erinnert aber an den Klassiker der Küchenpsychologie: „ Und lehre mich das zu akzeptieren, was ich nicht ändern kann.“ Aber: Ein Vergleich scheint manchmal sogar ganz gesund, wenn man sich nur mit den Richtigen vergleicht.

Schöne Gedanken, Übung 5

Situation: Wuppi84 antwortet auf eine Beitrag von mir auf einem Sozialen Medium mit: „Klima hat sich schon immer geändert, und wir sollen Schuld sein? So ein Quatsch! Jede Wissenschaft wurde schon immer widerlegt, wart es ab, du wokes Pack!“ Dazu drei Smileys, die sehr herzhaft lachen, das Beispiel ist rechtschreiblich geschönt.
Gedanke: Ach, Wuppi, armer Mensch in deiner Parallelbubble. Natürlich kann man wissenschaftlich keinen Kausalzusammenhang sicher beweisen, halt nur widerlegen, wenn es keinen gibt. Aber zum Glück weiß ich, dass auch die Philosophie einen Wahrheitsbegriff der Plausibilität kennt und dass es vernünftig ist, bestimmte Dinge als wahr anzuerkennen, eben wenn sie plausibel und nicht widerlegt sind. Schade, dass Du einer so nihilistischen Weltsicht folgst, aber es ist nicht an mir, deinen Geist zu erhellen. Ich wünsche dir noch ein erträgliches Leben.
Analye: Gut, ich habe mich nicht aufgeregt und mich mich nicht auf eine weitere Diskussion eingelassen. Distanzierung ist hier positiv im Sinne der Resilienz. Aber war es nicht aber etwas überheblich? In dem Sinne war es nicht elegant, auch wenn die Argumentation hier tatsächlich philosophisch war.

Schöne Gedanken, Übung 6

Situation: Ein unflätiger, rassistischer, sexistischer, Narzist wird Präsident und regiert in den nächsten Jahren mit einem faschistoiden Gefolge ein großes Land mit viel Einfluss auf unserem Planeten.
Gedanke: Oh, sieh mal da, ein Eichhörnchen!


Der Text "Schöne Gedanken denken üben" entstand im Januar 2025 für die Lesebühne 3 auf A4, vorgetragen habe ich ihn auf der Januar-Lesung mit dem Thema "JA, NU AbeR".

Hintergrund: Vor einer Weile habe ich den Philosophie-Podcast Privatsprache entdeckt. Dort geht es neben einer unterhaltsamen Schilderung der Geschichte philosophischen Denkens auch um schöne Gedanken. Host Daniel Brockmeier hat während der Corona-Zeit einige Folgen unter dem Motto "Tagebuch der schönen Gedanken" gestaltet. Meist waren alltägliche Situationen der Anlass, diese philosophisch zu analysieren. Das wollte ich auch, stellte aber schnell fest, dass ich es besser zunächst übe. Dieser Text ist ein Protokoll der ersten Versuche.

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