
Die Pizza dampft. Frisch geholt von der Bring- und Abholpizzeria um die Ecke. Belegt ist sie mit Brokkoli, Knoblauch in Öl und Soja-Stückchen, die vegane Filetstreifen heißen. Oben drauf schmiegt sich der vegane Pizza-Schmelz, der nicht Käse heißen will, an den Belag. Erstaunlich wohlschmeckend und alles in vegan. Ich sitze auf der Terrasse im Garten, schaue in die Ferne und bin mit mir und der Welt im Reinen. Kurz darauf höre ich meine Nachbarin sagen, sie müsse noch in die Stadt, „zum Metzger“.
Diskutieren, nur nicht über Tiere
Viele Menschen, die mir sympathisch sind, kaufen und essen regelmäßig tierische Produkte. Das bin ich gewohnt. Sogar viele, die ich als empathische, kluge, offene, freundliche und reflektierte Menschen wahrnehme. Solche, mit denen man über Ungleichheit, Gerechtigkeit, Gendersternchen und sogar über emotionale Intelligenz sprechen kann. Wir sind dann nicht immer einer Meinung, aber meist entsteht eine interessante Debatte.
Nur beim Thema Tiere wird es … meistens still. Oder laut. Oder abwehrend. Mit meiner Nachbarin sprach ich bisher weniger über kontroverse Themen, aber ich kannte sie als hilfsbereit und aufgeschlossen. Das Wort “Metzger” aus ihrem Mund irritierte mich dennoch. Offenbar habe ich es aus meinem Sprachschatz verbannt. Es zu hören ließ Unbehagen in mir aufsteigen. Auch aus dem Munde der sympathischen Nachbarin.
Vegetarisch war lange gut, gut genug
Ich war selbst lange Vegetarier. Das schien mir für viele Jahre genug. Ich war gegen Tierleid, aber hatte keine echte Idee, wie man ohne Käse, Milch oder Schokoriegel auskommen kann. Außerdem: die Auswahl an veganen Produkten war früher überschaubar. Damals fühlte es sich so an, als bestünde die vegane Welt aus Sojaschnetzeln, Ideologie und selbstauferlegten Alltags-Hindernissen. Auf Reisen war es in den früheren Jahren sogar schwierig, sich ohne akkurate Vorplanung vegetarisch zu verpflegen.
Aber das ist lange her. Heute ist die Auswahl riesig. Ich bekomme pflanzlichen Joghurt in dreißig Sorten, Sahne, Aufschnitt, Burger, sogar Ei-Ersatz. Ich backe Kuchen ohne Ei, trinke Cappuccino mit Hafermilch und esse vegane Chili sin Carne mit Genuss – ohne dass ein Tier auch nur schief angeschaut wurde. Kurz: Ich muss nichts mehr essen, was bei seiner Herstellung anderen Lebewesen Leid zufügt. Das ist ein Prinzip, das mir gefällt. Die Möglichkeiten dafür sind heute besser als je zuvor, das Angebot, ich erwähnte es, ist riesig und wächst und wächst.
Angesichts des großen Angebotes an wohlschmeckenden und gesunden veganen Speisen ist es mir zunehmend unverständlich, dass andere Menschen noch Tiere und Tierprodukte verzehren.
Wie weit geht Deine Empathie?
Vor allem dann, wenn sie reflektiert sind. Wenn sie mir erzählen, wie schlimm Massentierhaltung sei, während sie sich ein Brötchen mit Leberwurst schmieren. Oder mir Fotos von Hunden zeigen, die sie lieben und süß finden – aber auf den Teller kommt das Schwein. Empathie scheint selektiv zu sein. Oder sagen wir: Sie scheitert oftmals an Bequemlichkeit. Oder nur an Gedankenlosigkeit?
Ich meine das nicht vorwurfsvoll. Okay, ein bisschen vielleicht, da mir das Thema so am Herzen liegt. Aber vor allem frage ich mich: Warum fällt es uns so schwer, die letzte Konsequenz zu ziehen? Warum bleibt veganes Leben für viele ein sympathisches Konzept, aber besser für die anderen? Von denjenigen, die Veganismus als unysmpathisches Konzept, gar als Angriff auf ihre persönliche Freiheit und Weltanschauung ansehen, rede ich hier noch nicht einmal.
Dabei wird es immer einfacher. Und sichtbar normaler. Die Alternativen sind da. Die Argumente auch. Was fehlt, ist oft nur der Impuls.
Darf ich Impulsgeber sein?
Diesen Impuls versuche ich zu geben, indem ich von mir als Beispiel erzähle und erkläre, was mir wichtig ist und worauf ich achte. Doch oftmals verschrecke ich Bekannte, auch diejenigen, die ich mag. Ich bemerke, dass ich eher als ein komplizierter Gast angesehen werde, als jemand, der durch sein Verhalten dazu inspiriert, auf den eigenen Speiseplan hin und wieder vegan zu schreiben. Positiv: Das vegane Bullshit-Bingo mit den zehn üblichen Witzen über Veganer*innen höre ich in meinem Umfeld zunehmend seltener.
Ich sage das nicht, weil ich missionieren will. Ich sage das, weil ich mir selbst lange genug beim Nicht-hindenken-Wollen zugeschaut habe. Aber irgendwann reichte es mir nicht mehr, mich fleischfrei zu ernähren. Seit ich mich vegan ernähre, habe ich nicht das Gefühl, etwas verloren zu haben, zu verzichten, sondern das Gefühl, mich endlich stimmig zu verhalten.
Und ganz ehrlich: Der vegane Käse-Schmelz auf meiner Pizza hat mich nicht daran erinnert, das mir etwas fehlt. Nur an die Frage, weshalb ich überhaupt so lange dachte, ich bräuchte Käse auf meiner Pizza, für den Tiere leiden müssen.
"Veni, vidi, vegi" ist meine monatliche Kolumne zu Themen rund um die vegane Lebensweise. Sie erscheint jeweils am ersten Sonntag im Monat. Alle geschilderten Personen und Situationen sind frei erfunden, jedoch inspiriert von tatsächlichen Begebenheiten.