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Metabetrachtungen über das Schreiben

Schreiben Metabetrachtungen
Selbstreferenz: Schreiben schreiben - Über das Schreiben schreiben

Eigentlich finde ich es ja großen Mist. Es gibt nichts Schlimmeres als Schreiben über das Schreiben. Metabetrachtungen über das Schreiben, quasi. Das ist wie Lesen über das Essen. Es ist einfach kein Essen. Also auch nicht richtiges Schreiben.

In dem Moment, da ich oder jemand anderes der/die schreibt, sich ans Werk begibt, über Inhalte nachsinnt, über eine Geschichte, ein Thema, einen Plot, über einen Stil, eine Erzählperspektive, vielleicht auch schon über literarische Kniffe und pointierte Momente nachdenkt, da macht sie/er sich Gedanken über das Schreiben.

Das aber soll doch Werkzeug sein, Fahrzeug meinetwegen, aber niemals Gegenstand eben dessen, was er/sie tut! Das Schreiben nämlich. Schreiben soll sie/er doch über die Wunder der Natur, die Angewohnheiten der Menschen, die Farbe von Gegenständen, aber nicht über das, was er/sie gerade tut, das Schreiben nämlich selbst und das Nachdenken darüber. Es gibt nicht zuletzt unlösbare Widersprüche in der Mathematik, die auf Selbstreferenz beruhen.

Ist dazu ein Exkurs gewünscht? Gerne: Jedes hinlänglich komplexe System von Aussagen enthält unbeweisbare Aussagen der Form ‚Diese Aussage ist falsch‘. Denn jede Annahme über dessen Wahrheitsgehalt führt schnell zum Widerspruch. Ein bekanntes Beispiel aus der Antike ist der Kretaner, der sagte ‚Alle Kreter sind Lügner‘. Hat er Recht? Dieser Widerspruch ist nur möglich, wenn sich etwas auf sich selbst bezieht, nämlich eine Aussage auf ‚diese Aussage‘ und jemand aus Kreta auf Kreter.

Ende des Exkurses.

Der Autor, ich nehme hier mal alleine die männliche Form, da ich ja eigentlich mich selbst meine, der über das Schreiben schreibt, betrügt! Er ist nicht aufrichtig kreativ. Er ist wahrlich nicht kreativ. Er will vielleicht Mitgefühl heischen, dafür, dass ihm nichts über die Farben des Regenbogens einfällt, über die Allmacht der Liebe, über das Rätsel der Kommunikation. Nur über Selbstreferentielles. Hier sehe ich ein weißes Blatt, ach wie bin ich doch pappsatt! Mäh, mäh, mäh!

Es ist ein Trick, ein Fauler noch dazu. Der einzige Einfall ist der, dass ihm nichts einfällt! Okay, schreibe ich also darüber! Blödsinn, oder?

Vor vielen Jahren hatte ich eine Begegnung mit einem bekannten Autor. Einem sehr bekannten Autor. Wenn ich seinen Namen preisgäbe, wäre die Chance groß, dass ihn einige in dieser Runde kennen, auch wenn sie nicht unbedingt Literaturkenner/innen sind.

Begegnung ist übertrieben. Ein großer, gut gefüllter Seminarraum meiner Universität, der Autor, der in dem Semester Writer in Residence dort war, gibt eine Lesung und stellt sich der Diskussion. Wir hatten in jenem Semester ein Seminar zu seinen Texten. Es waren auffällig viele Texte darunter, wie der bekannte Autor über seine Autorschaft und das Schreiben schrieb. Ich fand es damals schon irgendwie, na ja, flau. Zumindest bemerkenswert und ich fragte mich bereits nach dem Grund dafür.

Es war kurz vor Ende des Seminars und mich plagte eine Frage. Weshalb tut er das? Ich zögerte sie zu stellen, rang mit der besten Formulierung, doch traute ich mich so um die letzte Minute des Seminars und der Dozent wählte mich als letzten Frager der großen Runde. Ich frage mich oft, wie häufig er das bereut haben mag.

Ich fragte sinngemäß, an den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr: „Weshalb schreiben Sie so oft über das Schreiben, fällt Ihnen nichts anderes ein, können Sie manchmal nichts anderes schreiben?“

Stille.

Peinliche Stille.

Noch mehr peinliche Stille.

Ich bekam eine Belehrung des Autors, was er so alles könne und dass er sehr, sehr vieles geschrieben habe und dass er ja nicht für nichts so bekannt sei.
Es folgte ein kurzer Satz der Entschuldigung des Seminarleiters, dann war das Seminar auch schon vorbei und alle strömten in die weiten Gänge des Universitätsgebäudes. Ich stammelte wohl noch einen Halbsatz, dass es so ja nicht gemeint wäre, sondern der Moment, der wohl im allgemeinen Aufbruch bereits unterging. Fortan traute ich mich nicht mehr, dem Dozenten unter die Augen zu treten, dem Autoren natürlich ebenfalls nicht, dazu gab es glücklicherweise auch keine Gelegenheit.

Eine ehrliche Antwort auf meine, wenn auch überspitzt gestellte Frage, bekam ich allerdings nicht. Was ich wissen wollte: Gibt es Momente im

Leben eines Autors, an denen er genau über das Schreiben schreiben muss, als Selbstreflexion? An dem genau das die einzige wahre Perspektive ist, an dem es gar keine Möglichkeit gibt, über Regenbögen, Regenpfützen, Regenwürmer oder sonst etwas Profanes zu schreiben, sondern an dem allein das Schreiben das einzig authentische Thema ist, die Perspektive, an dem ich am Schreibtisch sitze und um Worte ringe. Einfach weil es oben auf liegt. Das Thema, was jetzt da ist, was dran ist, das in Worte und Sätze fließen muss. Erst danach ist wieder Platz für Regenwolken und Regenschirme.


Genau das wollte ich wissen, denn nun, da ich selbst Texte schreibe, umtreibt mich genau dieses Thema. Das Schreiben als Vehikel, um meine Gedanken zu sortieren, um Nöte, um Anstrengungen zu fassen zu bekommen und auf ein Blatt, den Monitor zu fixieren. Da, Ihr ollen Sätze! Werdet, ihr könnt es nicht verhindern, denn ich schreibe über das, was ich tue!

Peng.

Manches mal wollte ich, ich könnte auf Anhieb wundervolle Texte verfassen über Regentänze, Regenrinnen und Regenjacken. Und würde mich nicht verlieren in Metabetrachtungen, über das, was ich gerade zu tun versuche und würde es einfach bloß tun. Einfach so!

Und wie ich so nachsinne, ob dieser Text nun auch ein Betrug ist, an Euch, liebe Zuhörende, da er eine Metabetrachtung über das Schreiben ist, sehe ich einen Lichtpunkt. Ich schreibe ja gar nicht über das Schreiben. Sondern über das Schreiben über das Schreiben, das ist Euch bestimmt bereits aufgefallen. Es ist also eine Meta-Metabetrachtung über das Schreiben. Ist es somit legitim oder ein noch üblerer Trick? Ich plädiere auf ein mildes Urteil!

P. S.: Nun, viele Jahre nach meiner Begegnung mit dem Autor, weiß ich, wie erkenntnisreich der Selbstbezug sein kann. Ich weiß, wie lohnend die Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit ist, sowohl für den Schreibenden, als auch für den Lesenden. Was hätte ich mir von ihm gewünscht? Vielleicht nur eine Ausage, wie diese:

Die Welt ist ein einziger unaufhörlicher Querverweis.

Cees Noteboom

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Der Text "Metabetrachtungen über das Schreiben" ist 2019 für die Lesebühne 4 Writer in Unna entstanden, 2024 habe ich ihn auch auf der Lesebühne 3 auf A4 in Schwerin vorgetragen.

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